„Ich starte einfach mal den Versuch“
Hürdensprinterin Marlene Meier will nach ihrem DM-Coup über das World Ranking um einen EM-Startplatz kämpfen.
Die 20-Jährige hat sich bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften am vergangenen Wochenende in Berlin selbst überrascht: 13,15 Sekunden und der Titelgewinn, damit hatte die Bayer-Athletin nicht gerechnet. Nun hat die Tochter von Hochsprung-Olympiasiegerin Heike Henkel und dem ehemaligen Zehnkampf-WM-Dritten Paul Meier dazu unverhofft die kleine Chance, sich über das World Ranking noch einen Startplatz bei der Heim-EM im August in München zu sichern. Um möglichst weitere Punkte zu sammeln, startet sie bei Meetings heute und am Samstag in Belgien.
Marlene, jetzt bist Du Deutsche Meisterin mit einer PB von 13,15 Sekunden, wie fühlt sich das an?
Es sind ja schon ein paar Tage vergangenen, trotzdem ist das noch nicht so ganz angekommen in meinem Kopf. So richtig habe ich noch nicht verstanden, was dieses „Deutsche Meisterin bei den Erwachsenen“ bedeutet. Ich glaube, es braucht noch ein bisschen, bis ich das checke.
Hast Du nicht im Geheimen ein kleines bisschen mit einem Erfolg geliebäugelt? Pamela Dutkiewicz hat ihre Karriere beendet, Cindy Rohleder ist verletzt, die beiden überragenden deutschen Hürdensprinterinnen der letzten Jahre waren also nicht dabei. Die Zeichen standen auf Generationenwechsel.
Ein ganz kleines Minibisschen hatte ich mit der Idee geliebäugelt, dass es vielleicht mit einer Medaille klappen könnte. Aber dass ich zweimal Bestleistung laufen würde, so eine Zeit dabei herauskommt und ich auch noch Gold mitnehme, das war dann doch eine sehr große Überraschung.
Du hast Dich über 13,20 auf 13,15 Sekunden gesteigert. Hattest Du eine Ahnung, dass das in Dir steckt?
Vielleicht habe ich mal davon geträumt, oder gescherzt, wie cool es wäre, wenn da mal eine Eins hinter dem Komma stehen würde. Das war ein ganz unterschwelliges Gefühl, nichts, bei dem ich mir hätte sicher sein können. Letztes Jahr bin ich noch eine 13,56 gelaufen, und jetzt steht da die Eins hinter dem Komma, das ist einfach Wow.
Es läuft extrem gut für Dich in diesem Jahr. Du verbesserst Dich stetig, bist zum Höhepunkt topfit, was steckt dahinter?
Ich kann es nicht wirklich erklären. Ich vermute, dass es viel damit zu tun hat, dass ich mich seit dem letzten Sommer ganz auf den Sport fokussiert habe. Ich habe nach dem Abi noch nicht direkt etwas angefangen, ich wollte mich erstmal orientieren. Und in der Leichtathletik stand mit der U-20-EM im vergangenen Jahr zum ersten Mal eine internationale Meisterschaft für mich an. So hatte ich jeden Tag nur Training und konnte mich ganz darauf konzentrieren. Dazu kommt natürlich die Top-Trainingsgruppe bei uns in Leverkusen, wir haben so viele tolle Hürdensprinterinnen und -sprinter. Und wir hatten zum ersten Mal wieder ein Trainingslager nach Corona. Ich habe im Winter super durchtrainiert, hatte kaum Beschwerden im Körper, nichts verletzt, alles top. Das kam alles zusammen, denke ich.
Jetzt bist Du im ersten U-23-Jahr, aber für diese Altersklasse gibt es in dieser Saison keine internationale Meisterschaft. Ärgerlich, wo es gerade so gut läuft?
Schon. Aber das kann auch gut dazu beigetragen haben, dass es jetzt so gut läuft. Ich hatte in diesem Jahr keinen Druck, zu einem bestimmten Zeitpunkt abliefern zu müssen. Ich konnte ganz entspannt in die Saison reingehen und nur meine persönlichen Ziele angreifen.
Aber damit ist die Saison nun zu Ende für Dich, oder?
Das war vor der Deutschen Meisterschaft der Plan. Ich wollte nur noch Ende Juli die U-23-DM in Wattenscheid laufen. Jetzt hat sich aber herausgestellt, dass so ein erster Platz bei der Deutschen mit einer so guten Zeit recht viele World-Ranking-Punkte geben kann. Dadurch besteht für mich eine klitzekleine Möglichkeit, dass ich es noch ins Starterfeld für die EM in München schaffen könnte. Und deshalb stehen für mich jetzt in Belgien gleich die nächsten Rennen an, in der Hoffnung, noch ein paar Punkte zu sammeln. Ich starte jetzt einfach mal den Versuch, ich habe ja nichts mehr zu verlieren. Den größten Erfolg habe ich abgehakt.
Die EM in München – wenn Dir das jemand vor der Saison gesagt hätte?
Hätte ich es nicht geglaubt. Wir haben im Training mal gewitzelt, aber die Norm liegt bei 12,93 Sekunden, das ist schon sehr weit weg. Wie das mit dem World Ranking und den Punkten geht, habe ich erst in den letzten zwei Tagen ein bisschen durchschaut. Ich wusste nicht, dass für mich im ersten Jahr bei den Frauen überhaupt eine Möglichkeit bestehen kann, an genug Punkte zu kommen.
Deine Eltern sind in der Leichtathletik bekannte Größen, wie ist das für Dich?
Für mich ist das ganz normal, ich bin ja damit groß geworden. In meinem Altersklassenbereich sind die Erfolge meiner Eltern schon zu lange her, viele kennen die gar nicht mehr. Wenn es im Gespräch aufkommt, wird vielleicht mal das Handy gezückt – und dann heißt es: Ach ja, meine Eltern kennen die.
Inwieweit sind Deine Eltern in Deine Leichtathletik-Karriere involviert?
Eigentlich so gut wie gar nicht. Sie geben mir Rat, wie alle anderen Eltern auch. Vielleicht ist er bei ihnen etwas erfahrungsbasierter, weil sie das selbst mal erlebt haben. Aber ins Training wird sich nicht eingemischt. Aus allem Sportlichen halten sie sich komplett heraus, das würde ich mir auch nicht anders wünschen, damit bin ich superzufrieden. Nur im Corona-Lockdown, als wir zu Hause trainieren mussten, da hat mich bei Tempoläufen immer einer mit dem Fahrrad begleitet und die Uhr gedrückt.
Der Olympiasieg Deiner Mutter in Barcelona ist in diesem Sommer 30 Jahre her. Motiviert es Dich, alte Videos anzugucken?
Ich gucke mir das gern an, ihre Sprünge und auch die Zehnkämpfe meines Papas. Wir haben zu Hause viele Bilder von früher rumliegen, aus Trainingslagern oder von der Leverkusener Anlage. Da kommt bei mir immer ein richtiges Nostalgie-Feeling auf. Wenn ich das sehe, ist das schon eine Motivation. Dann denke ich: Was für ein Traum, mal so ein Leben zu führen.
Foto: Gladys Chai von der Laage
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