"Olympia ist mein großes Ziel"
Siebenkämpferin Louisa Grauvogel startet künftig für den TSV Bayer 04 Leverkusen.
Ziel der 22-jährigen Europameisterschaftsteilnehmerin sind die Olympischen Spiele im übernächsten Jahr in Tokio. Im Interview spricht die frühere Dritte der U18-WM und U20-EM unter anderem über die Gründe ihres Trikottauschs, mögliche Perspektiven außerhalb des Mehrkampfes und das Schockerlebnis, das sie bei der EM in Berlin jäh ausgebremst hat.
Louisa Grauvogel, du hast daheim im Saarland beim TV Ottweiler viele Jahre geturnt, Handball gespielt und schließlich zur Leichtathletik gefunden. Wie schwer fällt der Abschied?
Louisa Grauvogel:
Ich wurde schon kurz nach meiner Geburt im TV Ottweiler angemeldet und bin seitdem Mitglied. Ich war im Saarland in der Schule, war auf dem Sportgymnasium und es hat sehr weh getan dort wegzugehen. Der Landessportbund und viele andere haben versucht mich dort zu halten. Alle Trainer, bei denen ich in meiner Kindheit trainiert habe, die mich zu der Athletin gemacht habe, die ich heute bin. Es war sehr schwierig, einen solchen Schritt zu machen.
Warum hast du dich zum Wechsel entschieden?
Louisa Grauvogel:
Es ging mir vor allem um die Trainingsgruppe. Ich habe hier in Leverkusen noch drei Mädels, die über 6.000 Punkte machen. Das ist extrem gut, wenn man Leute hat, die einen pushen. Die ganze Infrastruktur beim TSV Bayer 04 Leverkusen ist perfekt mit Physio, kurzen Wegen, einer Wohnung in der Nähe der Trainingsstätte, das macht alles ein bisschen einfacher. Ich trainiere wie die anderen Siebenkämpferinnen auch bei Erik Schneider, aber gestern zum Beispiel hat Stefan Press, der Trainer der Zehnkämpfer, mit mir an den Hürden gearbeitet. Bei Hans-Jörg Thomaskamp kann ich immer nachfragen. Das Trainergefüge ergänzt sich gegenseitig und hilft sich weiter. Auch das ist ein großes Plus im Verein.
Und dein Freund ist auch seit einem Jahr hier.
Louisa Grauvogel:
Genau. Das war zwar nicht der Grund, warum ich hergekommen bin, erleichtert aber einiges, weil er mir ein paar Sachen abnehmen kann. Ich studiere Biochemie, da muss ich manchmal den ganzen Tag im Labor sein.
Sind da auch die beruflichen Perspektiven in Leverkusen im Hinterkopf?
Louisa Grauvogel:
Bayer ist ein riesen Chemieunternehmen. Wenn ich das Studium bis zum Master fortführe, kann ich da möglicherweise ein Praktikum machen. Ich weiß noch nicht, vielleicht wechsle ich auch zur Medizin, das steht noch im Raum und ist auf jeden Fall möglich. Schauen wir mal, wie sich die nächsten Jahre entwickeln.
Was das Studium angeht bist du kein Greenhorn, sondern hast schon fast zwei Jahre in den USA hinter dir.
Louisa Grauvogel:
Das war auch ein Biochemie-Studium, aber im ersten Jahr macht man noch allgemeine Dinge. Ich habe da zum Beispiel Französisch, Politik, Geschichte und verschiedene andere Fächer gehabt. Aber im dritten und vierten Semester waren auch einige Chemie- und Biochemiekurse dabei, wobei das in den USA anders aufgebaut ist als hier.
Bleibt der Siebenkampf Schwerpunkt?
Louisa Grauvogel:
Definitiv. Ich hatte in diesem Jahr auch gute Leistungen im Hürdensprint. In Berlin bin ich auch über 200 Meter unter der EM-Norm geblieben. Der Sprint wäre also auch eine Option. Aber ich habe schon immer Siebenkampf gemacht. Ich habe früher Handball gespielt, habe dadurch das Werfen ein bisschen gelernt. Auch die Sprünge machen mir einfach Spaß. Ich weiß, dass ich im Weitsprung und besonders im Hochsprung noch sehr viel Potenzial habe.
Wie viel Potenzial steckt noch im Sprint mit und ohne Hürden?
Louisa Grauvogel:
Meine Hürdentechnik ist ziemlich schlecht, viele wundern sich, dass ich mit so einer Technik so schnell laufen kann. Daran arbeite ich, ich kann mich sicher noch verbessern. Das sind Reserven, die dann auch dem Mehrkampf zu gute kommen.
Hast du einmal an 400 Meter oder 400 Meter Hürden gedacht?
Louisa Grauvogel:
Ich wollte es am Ende der Saison tatsächlich einmal versuchen 400 Meter Hürden zu laufen oder auch nur 400 Meter flach. Das hat leider nicht geklappt, aber vielleicht werde ich das im nächsten Jahr austesten. Einfach nur so zum Spaß. Dafür werde ich nicht extra trainieren. Bei den Deutschen Meisterschaften werde ich aber wohl Disziplinen bestreiten, die auch im Siebenkampf präsent sind.
Du bestichst durch deine Schnelligkeit, aber auch durch deinen Biss. Ist der antrainiert?
Louisa Grauvogel:
Ich habe mit einem Hypnosetherapeuten gearbeitet, der mir zum Beispiel geholfen hat, als mein Hochsprung überhaupt nicht geklappt hat. Da meine Technik in vielen Sachen noch nicht richtig stabil ist, hilft das, was ich da gelernt habe, oft. Ich habe gelernt Müdigkeit auszublenden, die Nervosität komplett in den Griff zu bekommen. Ich bin mental viel stärker geworden. Diese Stärke konnte ich zum Beispiel in Ratingen ausspielen. Ich hatte ja kurz vor Ratingen schon in Eugene einen Siebenkampf voll durchgezogen. Dann kamen neun Stunden Zeitverschiebung und am darauffolgenden Wochenende der Wettkampf in Ratingen. Ich habe gelernt, die ganze Anspannung komplett zu ignorieren, auch wenn es dem Körper nicht so gut geht. Wenn man sich sagt, dass man nicht müde ist, dass es einem gut geht, sich nicht einrollt, sondern erhobenen Hauptes in den Wettkampf geht, dann kann man viel erreichen. Ich habe in diesem Jahr gemerkt, dass das wirklich funktioniert.
Wir sollten noch einmal auf die EM in Berlin eingehen: starke Vorstellung. Du lagst prima im Rennen Richtung 6.300 Punkte. Doch vor dem abschließenden 800-Meter-Lauf - ein Autounfall. Ein Schock. Für dich und deine neue Vereinskollegin Mareike Arndt das EM-Aus.
Louisa Grauvogel:
Ich habe mich noch nie so sehr auf einen 800-Meter-Lauf gefreut, weil ich wusste, dass das Stadion abends voll wird. Gefreut, obwohl 800 Meter die Hassdisziplin aller Siebenkämpferinnen ist. Nach dem Unfall war ich völlig fertig und habe eine Woche nur geschlafen, musste das erst einmal verarbeiten.
Ihr wart auf dem Weg ins Hotel, da ist ein anderer Autofahrer mit 70 oder 80 Stundenkilometern ins Team-Fahrzeug gekracht.
Louisa Grauvogel:
Wir wollten abbiegen, da ist das Auto von der Seite in unseres rein gefahren. Wir hatten Glück, dass die B-Säule betroffen war, also viel abgefedert wurde und wir nicht schlimmer verletzt worden sind. Es hätte viel schlimmer ausgehen können. Geblieben ist eine vier Zentimeter lange Wunde an der Stirn. Es war natürlich superschade um die Punktzahl. Gerade jetzt bei dem neuen Nominierungssystem für die WM wären 6.300 Punkte wahnsinnig wichtig gewesen. Aber wenn ich an die EM in Berlin denke, dann denke ich an ganz viele andere Sachen. Der Unfall kommt dann erst ganz spät. Solche Sachen passieren, es war ein Schutzengel da. Damit habe ich die Sache abgehakt und erinnere mich an die schönen Momente in Berlin.
Der Blick geht nach vorn – Richtung Doha und Tokio.
Louisa Grauvogel:
Die Olympischen Spiele 2020 in Tokio sind das Fernziel. Das habe ich schon vor vier oder fünf Jahren gesagt, dass ich da auf jeden Fall teilnehmen möchte. Das ist ein großer Traum. Die WM im nächsten Jahr in Doha wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Wenn ich mit den 6.300 Punkten, die ich in Berlin wohl geschafft hätte, rechne, muss es im nächsten Jahr Richtung 6.400 Punkte gehen. Mit einem ordentlichen Kugelstoß, der bei der EM nicht so gut war.
Harald Koken
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